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Fortschreitende Verhüllung:

 

Zu einigen Aspekten von Maschinenkunstwerken

 
 

1. Vorbemerkung

 Beginnen Künstler damit, ihren Kunstwerken Erklärungen über deren Inhalt, Aussage und gar ihre Intentionen bei der Schaffung ihrer Objekte voranzustellen, ist Misstrauen angezeigt. Spricht das Kunstwerk nicht für sich, muss es als misslungen gelten. Trotz dieses prinzipiellen Einwandes gegen die „Versprachlichung" metaphysischer Erschauungserlebnisse (Husserl), die Kunstwerke bei ihren Betrachtern bewirken sollen, tragen Worte manchmal dazu bei, das Hintergrundrauschen hörbar zu machen, vor dem das einzelne Kunstwerkentstand.

 

2. Anmerkungen zur Geschichte des Automatenbaus

 Technik, so scheint es, ist modern, ist neu, ist ein Problem unserer Zeit. Doch reichen die Versuche, manipulativ Erkenntnisse und Erfahrungen miteinander in Apparaturen zu vereinen, so weit zurück, dass es schwer fällt, eine genaue Beschreibung dieses langen und langwierigen Weges zu geben.

Die Spuren der ersten Automatenbauer verlieren sich im Dunkel der Geschichte der Menschheit. Dokumentarisch belegt ist ein Mann namens Archytas, ein Pythagoreer und Freund Platons. Er soll der erste gewesen sein, der verschiedene Einsichten in Naturzusammenhänge kombiniert und in solche Maschinen umgesetzt hat die die Menschen seinerzeit in Erstaunen und Ehrfurcht vor den Göttern versetzt haben.

 Vitruv, ein Ingenieur der römischen Antike der über Architektur schrieb, dokumentiert die Ausweitung der Baukunst über die Architektur hinaus. Er fügt der Architektur den Bau von Kriegsmaschinen, die Feinmechanik und den Apparatebau hinzu und erweitert dadurch den Kunstbegriff der mechanischen Künste.

 Der Ingenieur Heron von Alexandria der im ersten Jahrhundert nach Christus gelebt haben soll, schildert in seinen Schriften einen beginnenden Paradigmenwechsel seiner Zunft. Er wagt die ersten zaghaften Versuche, die „reinen Wissenschaften", d. h , die spekulativ-philosophischen, zu entthronen und die praktischen Wissenschaften aufzuwerten. Damit dokumentiert er den Beginn eines Typs von Auseinandersetzung, die sich bis in unsere Tage erhalten hat.

Ganz dem Denken und der Selbstwahrnehmung von Menschen einer höheren Kaste der mediterranen Stadtstaaten zugehörig, ging es diesen Erfindern wenig darum, mit ihren Maschinen Erleichterungen für die Arbeitenden zu verwirklichen. „Viele der von ihm (Heron von Alexandria) beschriebenen und im einzelnen erläuterten technischen und physikalischen Vorrichtungen dienten dem Wundertun, der Unterhaltung", schreibt Conrad Matschoß in seinem Buch „Große Ingenieure".

Der ganze Aufbau dieser frühen Staatsgesellschaften erzwang Geheimhaltung in allen möglichen Bereichen zum Zwecke der Erhaltung von Machtchancen und Privilegien.

 Die Geheimhaltung der Einsichten in Geschehensablaufe und Beziehungen, die wir heute etwas unscharf „physikalisch" nennen müssen und die Fähigkeiten, sie zielgerichtet zur Beeindruckung von Menschen zu verwenden, waren damals „rationale" Vorhaltens-Strategien. Sie dienten der Sicherung einer etablierten Stellung in relativer Nahe zu den Machtzentren. Als sich in Europa das Interesse an der Antike verbreitete, kamen viele Schriften wieder zum Vorschein, die von den Baumeistern der Antike hinterlassen worden waren. Und wieder ging es darum, die nun inzwischen christianisierten Menschen durch das Vorführen von Ungewöhnlichem zu beeindrucken, die eigene Machtvollkommenheit im Umgang mit außermenschlichen Geschehenszusammenhängen zu demonstrieren, um so den Machtanspruch auf die Steuerung sozialer Beziehungen aufrechtzuerhalten und auszuweiten.

„Villard de Honnecourt zeichnete um 1245 einen einfachen automatischen Adler, der den Kopf bewegte, wenn der Diakon in der Kirche die Epistel las, er bestätigte gleichsam dem staunenden Christen die Allmacht Gottes, wie es die automatischen Opferfeuer der Griechen be

stätigten." Angeblich sollen die Automatenkonstrukteure auch einen leidenden Christus am Kreuz, aus dessen Wunden Blut floss, beeindruckend hergestellt haben.

 Auch 300 Jahre später hatten sich die Automatenhersteller noch längst nicht von der mystischen Erhöhung der Etablierten abwenden können, aber einen ersten Schub der Verweltlichung erfahren.

„In der europäischen Renaissance belebte sich, mit der Freude an antiker Literatur und Kunst, auch der Wunsch,

 mit Automaten zu prunken. Berühmt ist der Löwe, den Leonardo da Vinci 1509 für ein Saalfest in Mailand angefertigt hat. Das mechanische Wunderwerk schritt dem Thron Ludwig XII entgegen, um mit einer Tatze seine Brust aufzuklappen. Staunend sahen die Höflinge die Symbole Frankreichs, die Lilien. "

 Das Universalgenie da Vinci beeindruckt nicht nur mit seinen Bildern, seinen Entwürfen und Konstruktionen, sondern auch mit seinen Problemen in Machtkonstellationen der höfischen Gesellschaft, über die der französische Historiker Gimpel schreibt: „Selten haben Geisteswissenschaftler im Laufe der Geschichte die Leistungen der Ingenieure gewürdigt. Letztere stammten oft aus ärmlichen Verhältnissen und waren gezwungen, sich mühsam ihr tägliches Brot zu verdienen. Übergangen wurden auch die in diesen Kreisen entstandenen Schriften, wie das Beispiel von Leonardo da Vinci zeigt. Die Literaten seiner Zeit verachteten den Ingenieur in ihm, und es war ihnen nicht bekannt, dass viele der in den „Notizbüchern" beschriebenen Erfindungen bereits früher, in technischen Abhandlungen anderer Autoren zu finden waren, eine Tatsache, die auch heute noch viel zu wenig bekannt ist."

Das Ansehen, das Menschen erreichten, wenn sie sich den „weltlichen Dingen" zuwandten, war, trotz aller Erfolge die es zu verzeichnen gab, noch immer gering, geringer als das Ansehen derjenigen, die sich den „reinen Wissenschaften", der spekulativen Interpretation ohne empirische Grundlage verschrieben.

 Aber es war weniger eine „Geschmacksfrage", als eine Frage sozialer Abgrenzung. Die Ingenieure und Techniker gehörten noch lange nicht zu den Etablierten. Und auch, dass die Konstruktionen Leonardo da Vincis auf schon 2000 Jahren Erfahrung beruhten, schien in dieser Zeit niemand zu bemerken.

 „Technik" galt als traditionslos, nur dem hier und jetzt, aber nicht dem „Ewigen" verbunden, an das sich Herrscher aller Zeiten so gern anlehnen. War die kirchliche Organisation noch bis zum 15. Jahrhundert aufnahmebereit und fähig, bisher disparate Erfahrungen zu verschmelzen und als weltumspannendes Orientierungssystem zu synthetisieren, verlor sie mit ihrer zunehmenden Etablierung diese Fäh

igkeit nach und nach. Schritt für Schritt nahm die Traditionspflege einen immer breiteren Raum ein. Die Beschäftigung mit den profanen Dingen wurde mehr und mehr aus dem kirchlichen Leben zurückgedrängt.

 Die Auseinandersetzung mit Fragen der Mechanik, Chemie, Astronomie und Heilkunde galt zunehmend als Ausstieg aus einem Denken auf religiöser Grundlage. Die Wissenschaftler wurden in Auseinandersetzungen mit der kirchlichen Administration verwickelt. Prominentestes Opfer war wohl Galilei.

 So erlangten die neuen technischen Erfindungen zwar eine, man kann beinahe sagen, ungewollte Souveränität gegenüber den starrer werdenden kirchlichen Orientierungsmitteln, waren aber gleichzeitig mit dem Stigma des „Teufelswerks" behaftet.

Erst mit der innerkirchlichen Revolution, die wir als Reformation kennen, nahm die Aufgeschlossenheit gegenüber den Einsichten der Techniker und Forscher wieder zu. Die Kirchenorganisation selbst jedoch förderte Projekte zur Gewinnung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse als Orientierungsmittel so gut wie nicht mehr. Das zunehmend mechanische Verständnis von den vielschichtigen Prozessen der Welt führte zu einer Flut von mechanischen Nachbildungen des Lebendigen.

 „...Beliebt waren im 17. Jahrhundert, dem eigentlichen Höhepunkt der Automatenspielerei, solche Vögel, die Körner fraßen und Exkremente von sich gaben; nun ging es nicht mehr um Verklärung, sondern um Echtheit. Vaucanson (1709-1782), unter anderen Umständen g

ewiss ein idealer Flugzeugkonstrukteur, baute einen Flötenspieler, der 12 Stücke spielte, eine Ente, die lief, schnatterte, Hals und Flügel bewegte sowie Körner fraß und Wasser trank."

 Anders als in den Stadtstaaten der Antike waren durch die Flächenstaatenbildung, die Durchsetzung des Landfriedens und das christliche Menschenbild schützende Barrieren entstanden, die es verhinderten, Sklaven als „Menschenmaschinen" für die Arbeiten einsetzen zu können, mit denen die Menschen ihre in die Natur geschlagenen sozialen Enklaven erweiterten.

 Deshalb bestand für die Ingenieure und Techniker dieser Zeit oft der Wunsch, Arbeitserleichterungen und geringeren Aufwand bei diesem Tun zu erreichen.

 Die Feinmechanik hatte als Technik des Uhrenbaus und der Stärkung des Zeitraster-Setzungsmonopols einen erheblichen Aufschwung genommen. Die Kirchenorganisation duldete sie im eigenen Interesse und wendete die Ergebnisse zur Synchronisation menschlichen Handelns machtbewusst an.

 Man muss aber deutlich sehen, dass es private Forscher waren, die sich oft finanziell ruinierten, um, manchmal in jahrzehntelanger Arbeit, komplizierteste Uhren zu entwerten und zu bauen. Die Triebfeder ihres Tuns war, ein möglichst genaues Abbild des Universums mit den Bewegungen der Sterne und Planeten zu schaffen. Vielleicht war es der Versuch, die göttliche Schöpfung in der mechanischen einzufangen. Eine Technologie zu entwickeln, die über diese einmaligen Leistungen solcher Spezialisten hinausführte, gelang erst viel später.

 Eine bezahlte Arbeit fanden diese Spezialisten, die ihrer Herkunft nach Handwerker waren, am ehesten an den Fürstenhöfen. Hier stellten sie ihre Arbeitskraft zu allererst in den Dienst der Wünsche des Potentaten. Sie erforschten und erfanden das, was die Figurationen der Fürstenhöfe aus Prestigegründen im Machtkampf untereinander benötigten.

 In den Zentren der höfischen Gesellschaften des Abendlandes war dauernder Mangel an Amüsement. Die Fürstenhöfe waren regionale Machtzentren, in denen über die Umverteilung von Ressourcen entschieden wurde. Verschwendung galt nicht als unmoralisch, sondern war Ausdruck der Machtfülle.

 Hier war es möglich, für komplizierte Maschinen, deren Unterhaltungswert allein in der Bewegung bestand, große Mengen „gefrorener Arbeitskraft" in Form von Geld bereitzustellen. Die Gruppe der Menschen, die als „Mechanikus" tätig war, differenzierte sich:

 Eine beachtliche Zahl arbeitete an den Höfen, war dort mit dem Bau von Automaten beschäftigt, aber auch mit anderen konstruktiven Tätigkeiten, vor allem als „Kunstmeister" im Bergbau und Hüttenwesen. Andere lehrten, auf die Mathematik Bezug nehmend, an Universitäten.

 Die Mehrzahl jedoch blieb Handwerker und baute komplizierte „Schaubuhnen" mit Figuren, die sich auf Laufschienen bewegten.

 Damit zogen sie über Land und verdienten ihren Lebensunterhalt mit der Schaustellung ihrer Maschinen. Eine Form dieser mechanischen Abbildung von Realität, die sich in den Nachbildungen von Bergwerken im Erzgebirge bis heute erhalten hat, ist der „Weihnachtsberg", der komplexere Nachfolger der mit Warmluft getriebenen „Weihnachtspyramide".

 Die sich verschlechternden Bedingungen der Handwerker und die immer geringeren Chancen, in den Zünften und Gilden Fuß zu fassen, drängten eine beachtliche Zahl dieser Menschen ins Schaustellergewerbe.

 Im 16., 17. und 18. Jahrhundert zogen diese Schausteller mit „Spielwerken" aller Art durch ganz Europa.

 Das Erstaunen, das die Automatenfiguren durch ihre künstlichen Bewegungen hervorriefen, war enorm, denn alle Bewegung war bis zu diesem Zeitpunkt „natürliche" Bewegung gewesen. Man muss sich den Grad des „Nichtwissens" dieser Menschen vor Augen halten, um verstehen zu können, welche staunende Sprachlosigkeit entstanden sein musste.

 Heute begegnen uns die letzten Nachfahren dieser Tradition noch immer auf den Jahrmärkten im befahrbaren Maschinenkunstwerk der Gespensterbahnen.

 In ganz Europa setzte ein Nachfrageschub nach den technischen Maschinenkunstwerken ein und führte zu einer immer weiteren Verfeinerung dieser auf Unterhaltung und Amüsement ausgerichteten Bewegungsmaschinen. Diese Verfeinerung druckte sich in zu nehmender Miniaturisierung und Komplexität aus. Die Automatenbauer wagten es nun, mit dem Bau von Androiden zu beginnen. Alsbald rankten sie um die komplizierten, manchmal nur vom Konstrukteur noch durchschaubaren „Maschinenmenschen" abenteuerliche Gerüchte. Die Automaten wurden zu Wesenheiten stilisiert und die Angst vor ihrer Verselbständigung ging um. Die Geschichte vom „Golem" ist beredtes Zeugnis für den unheimliche Eindruck, den die Bewegungsautomaten hinterließen.

 Noch ETA Hoffmann (1776-1822) äußerte: „Schon die Verbindung des Menschen mit toten, das Menschliche in Bildung und Bewegung nachäffenden Figuren zu gleichem Tun un Treiben hat für mich etwas Druckendes, Unheimliches, ja Entsetzliches". Die Ausdifferenzierung der Feinmechanik wirkte sich auch auf künftige technische Projekte aus. So experimentierten die Ingenieure, die an der Erfindung von Dampfmaschinen arbeiteten, mit verkleinerten Modellen, die sie von Automatenbauern anfertigen ließen.

 Viele Menschen hatten im Verlauf voi drei Jahrhunderten Kontakt zu Bewegungsautomaten aller Art, hatten sie zumindest auf Jahrmärkten benutzt, oder in Ausstellungen gesehen. Zwar konnten Maschinen im 18. und 19. Jahrhundert schon dazu dienen, eine zweckgerichtete Veränderung in der Umgebung vorzunehmen, doch hielt diese Funktion noch die Balance zu den Automaten, die allein durch ihre Bewegung und das damit verbundene metaphysische Erschauungserlebnis die Stimmungslage von Menschen beeinflußten.

 Der zweckgerichtete Einsatz von Maschinen, forciert von den sich etablierenden Ingenieuren mit einer mathematischen Ausbildung an staatlichen Universitäten, verdrängte die Bewegungsmaschinen in den Bereich der bloßen Spielerei, entwertete die soziale Funktton der Automaten, Menschen durch Bewegung zu erheitern. Ihr Ziel war es nun, Maschinen zu schaffen, die geeignet waren, Menschen Stück für Stück aus der Anbindung an die Geschehensabläufe in der außermenschlichen Natur zu lösen. Die Maschinisierung der Produktionsprozesse führte schnell zu einer tag-täglichen Begegnung tausender von Menschen mit Maschinen und ließ den Wunsch nach dem Besitz einereigenen kleinen Maschine wachsen Das Automatenspielzeug, anfänglich für Erwachsene und Kinder gleichermaßen konzipiert, entstand.

 Die wichtigste Erfindung dabei war das exzentrische Rad. Mit dem exzentrischen Rad vollführten die Automaten Bewegungen, die als komisch angesehen wurden Voraussetzung dafür war der Habitus der Menschen, die sich daran erheitern konnten Ihnen durfte eine „exzentrische" Körperbewegung nicht zu peinlich sein Bildeten die Automaten anfänglich noch Menschen und Tiere nach, die als „hoch" einzustufen waren, etwa Schreiber oder Schwane, weiteten sich die Darstellungen mit der Verbreitung von Automaten auch auf geringschätziger betrachtete Lebewesen (Affen, Baren) oder sozial niedrig Eingestufte (Clowns, Neger, Chinesen) aus, die exzentrische Bewegungen zur Erheiterung ihrer Betrachter vollführten. Solche Maschinen wurden im Verlauf der Industnealisierung der Fertigungsprozesse mehr und mehr zum Spielzeug allein für Kinder.

 Damit hatte der Prozeß des Automatenbaus seine weitgehende Demokratisierungsphase erreicht. Die industrielle Fertigung, die ohne die Phase des Automatenbaus für wenige nicht denkbar ist, hatte den Automaten für jedermann möglich gemacht und ihn dadurch als Macht repräsentierendes Distinktionsmittel vollkommen entwertet. Damit ist diese Art der Erheiterung durch Maschinen, die ihren sozialen Zweck schon damit erfüllten, daß man sie betrachtete, trotz einer 2000 Jahre dauernden Tradition ausgestorben. Das Bild von dem, was unter einer Maschine zu verstehen ist, hatte sich durch die Wandlungen in den gesellschaftlichen Abhängigkeiten, die daraus hervorgegangenen neuen Herstellungsverfahren und nicht zuletzt durch die Veränderungen des ästhetischen Anspruchs grundlegend gewandelt.

 

 3. Gedanken zu den Automaten der Neuzeit

 Wir alle besitzen derzeit Maschinen zu bestimmten Zwecken Zweckfreiheit einer Maschine erscheint als Widerspruch. Eine Maschine, die nur sich selbst bewegt und so dem Amüsement dient, ist deshalb mit dem Begriff „Maschine" scheinbar unzureichend gekennzeichnet, weil der Beginn von Technik, der an den Begriff „Maschine" geknüpft ist, erst für eine Zeit angewendet wird, ab der es möglich war, technische Geräte zielonentiert zur Veränderung unserer Welt zu gebrauchen. Dieses kalkulatorische Denken ist uns in Fleisch und Blut übergegangen, prägt unsere Fremd- und Selbstwahrnehmung in tagtäglichen Handlungsprozessen. Der Ästhetik der höfischen Gesellschaften, die von uns „Bürgern" mit all ihren Lebensweltorientierungen und ihrer spezifischen Wahrnehmung von „Schönheit" als überwunden, als überholt angesehen wird, können wir keinen „Geschmack" abgewinnen. Der „Bürger" Tinguely hatte der übermächtig werdenden Realität der Maschinenweit nur seine Ironie entgegenschleudern können. Das Anknüpfen an die „alten Meister", wie etwa Vaucanson mit seiner mechanischen Ente oder die Schweizer Jaquet-Droz, deren Automaten zu begehrten Amüsement-Maschinen des 18. Jahrhunderts gehörten, erscheint wohl auf den eilten Blick asynchron. Doch es waren gerade diese Menschen, und natürlich viele andere, die Voraussetzungen zu einer Entwicklung schufen, deren Ergebnisse heute erhebliche gesellschaftliche Probleme bereiten, eine Entwicklung, die wir heute mit einer Fixierung auf die Gegenwart nur ungenau sehen und die uns scheinbar kaum betrifft. Sicher ist, daß die Entwicklung von Maschinen mindestens in zwei Richtungen verlief: Einmal ging ein Schub in Richtung „Automat für jedermann". An dessen Ende stand das industriell gefertigte mechanische Blechspielzeug für Kinder. Der andere Schub ging in Richtung Maschinenbau, wie wir ihn auch heute noch kennen. Wie eng die Verquickungen in diesen Bereichen waren, ließe sich an den Firmengeschichten von Schuco, Caretta oder auch Lehmann, um nur einige Beispiele zu nennen, zeigen.

 4. Ästhetische Probleme von Maschinen und Automaten als Ausdruck gesellschaftlicher Machtbalancen

Das Körperliche gilt als etwas Unschönes und bedarf der Verhüllung. Nur in der abgeschirmten Privatheit ist die Enthüllung von Körpern nicht mit Stigmatisierung bedroht. Das Abstrakte ist das Göttliche und Schöne. Es schützt vor der Profanisierung aller Lebensbereiche.

 Vor diesem gedanklichen Hintergrund gewinnt Design in der modernen Welt eine neue Bedeutung. Design verbirgt das Körperliche einer Maschine. Christo treibt mit seiner Verhüllungskunst diese Betrachtungsweise in so extreme Bereiche, daß ihm durch das bei den Betrachtern entstehende metaphysische Erschauungserlebnis verhüllter Maschinen der Status eines Künstlers zugestanden ist, der an Tabuzonen rührt.

 Design ist so gesehen ein Gestaltverlust des Körperlichen, das in der Verhüllung einen gesellschaftlichen Standard der „Verdrängung" repräsentiert. Die designte Maschine weist auf spezifische Tabuisierungen innerhalb von Gesellschaften hin. Ich wage mich weit vor, wenn ich sage: Mit Design findet die Verdrängung der Arbeitswelt aus dem Alltag statt. Der Arbeitsplatz von Millionen Menschen ist heute die Maschine. Sie wird durch Verhüllung der Wahrnehmung entzogen und auf Äußerlichkeit reduziert.

 Mit der Industrialisierung und dem massenhaften Einsatz von Maschinen wurden Differenzierungsprozesse in Gang gesetzt, in deren Verlauf neue Statuszuweisungen entsprechend der Nähe oder Ferne zur Maschine im Produktionsprozeß erfolgten.

Aus der Gruppe der Arbeiter gewannen jene an Ansehen, die es schafften, ihren Broterwerb vom Einsatz des eigenen Körpers ein stückweit zu lösen und in die Gruppe der Maschinenarbeiter aufrückten. Sie bildeten in ihrer Massenhaftigkeit das Potential für den Industrialisierungsprozeß und genießen auch noch heute in der Gruppe der Arbeiter ein hohes Ansehen. Ihnen hat der Industrialisierungsprozeß Machtchancen zugespielt, die die Machtbalancen zwischen den Etablierten der bürgerlichen Gesellschaft und ihnen als Maschinenarbeitern zu ihren Gunsten verschob. In ihren Händen erlangte die Maschine als Instrument und Waffe in der Auseinandersetzung um die Verteilung von Lebens- und Sinnchancen in menschlichen Gesellschaften eine neue Qualität.

 Wie sehr sich die Maschinenarbeiter über eine solche Tatsache im klaren sind, zeigt das Maschinensymbol „Zahnrad" in verschiedenen Signalornamenten von Arbeitervereinigungen. Ein „Metaller" zu sein, bedeutet auchheute in Deutschland mehr Ansehen, als es z. B. ein DAG-Mitglied in diesem Zusammenhang haben kann. Eindeutig läßt sich dieses Selbstbild im Verhalten der Mitglieder der Interessengemeinschaft Metall bei Auseinandersetzungen noch immer nachweisen.

 Die Verdeckung des Zahnrades und später des Rades in Maschinen überhaupt durch Design, stellt sich so als Ausdruck des Machtkampfes in Industriegesellschaften dar. Ästhetische Standards des Managements, die natürlich untrennbar von solchen tagtäglich stattfindenden Machtkämpfen sind, ließen es diesen Menschen angezeigt erscheinen, den Maschinen ein „ansprechendes" Gehäuse zu vermitteln.

Mehr und mehr wurden zu diesem Zweck speziell dafür ausgebildete Spezialisten eingesetzt. Design wurde das Verkaufsargument. Die Verhüllung der Maschine, letztlich die Verhüllung des Rades, wurde forciert. Aber es ist nicht so, daß hier mit reinem Kalkül gehandelt wurde. Diffuse Vorstellungen von dem, was „schön" und „häßlich", was „öffentlich" sein darf und was „privat" oder „geheim" bleiben muß, spielen bei diesem Prozeß der Ästhetisierung von Arbeitswelt eine wichtige Rolle. Tatsächlich bewirkte Design das allmähliche Verschwinden der Arbeitswelt und ihrer offensichtlichen Symbolik aus dem Alltag und ebnete den Weg zur demokratisch orientierten Utopie von der „Freizeitgesellschaft" auch für Beschäftigte. Tatsächlich bewirkte Design aber auch die ästhetische Harmonisierung von Realität und Utopie.

 

 5. Einige Gedanken zu den Auswirkungen fortschreitender Verhüllung

 All diese Entwicklungen waren nur möglich, weil die zunehmende Orientierung von immer mehr Menschen an den Standards des Establishments Erfolg hatte und bisher als unerreichbar geltende Lebensperspektiven in greifbarere Nähe rückten.

 Konnte man noch um die Jahrhundertwende die Funktionsweise der meisten Maschinen, eben weil sie nicht verhüllt waren, erkennen, so nahm diese Möglichkeit immer mehr ab. Komplexer und komplizierter werdende Maschinen mit immer höherem Integrationsniveau verbargen sich hinter Gehäusen, bei deren Betrachtung kaum noch eine eindeutige Funktionserkennung des Verborgenen zu leisten ist. Das Gehäuse formt die Funktionalität der verborgenen Maschine in ästhetische Kategorien um. Der verbreitete Witz, beim Blick auf das Fenster einer Waschmaschine von einer „Bildstörung" zu sprechen, ist Ausdruck dieses Gestaltverlustes. Mythenbildungen über das, was „Technik leistet und leisten kann, ist der kritischste Punkt, wenn man seine Aufmerksamkeit auf die derzeit stattfindenden Diskussionen über „sanfte" Technik und ihre „Folgeabschätzungen" richtet.

 Die mangelnden Möglichkeiten „hinter die Kulissen" technischer Produkte schauen zu können, drängen nicht mehr dazu, die Abläufe in den Gehäusen verstehen und auf ihre Lösungsstrategien hin beurteilen zu wollen. Design, ganz abgestellt auf visuelle Reize und Harmonieempfinden der Form, hat verbergenden Charakter angenommen, mit dessen Folgen es sich auseinanderzusetzen gilt.

 Das hohe Angstniveau, mit dem heutige Maschinenstürmer auf „Technik" blicken, zeigt, daß diese Menschen von Maschinen oft nur geringe Kenntnisse haben. Ihre Ängste sind eindeutig auf die Veränderungen im sozialen Leben fokussiert, die durch den Einsatz von Maschinen hervorgerufen werden.

 Ganz anders jedoch die Maschinenkunstwerke: Hier handelt es sich um Maschinen, von der keine Menschengruppe Machtansprüche an eine andere ableiten kann und die keine raumbezogenen Veränderungen herbeiproduzieren, mit denen es sich abzufinden gilt. Dadurch ist ein Maschinenkunstwerk wohl geeignet - unvoreingenommener als bisher - Menschen zum Überprüfen ihrer Einstellung zu „Technik" zu bewegen.

 Heute fühlen wir uns von den Maschinen bedroht, die unsere Welt und damit unsere bewährten Beziehungen verändern. Maschinenkunstwerke sind die gezähmten Bestien, die sozusagen ausgestopft, in unseren Wohnzimmern lauern können, ohne Angst zu erzeugen. Der „Urwald" auf dem Fensterbrett ist damit vergleichbar. Erst vor etwa 200 Jahren holten sich die Menschen, die am sichersten vor den Einbrüchen von Naturgewalten lebten, die „Natur" ins Haus.

 Bei Betrachtungen zur Angst vor Maschinen wird oft unbeachtet gelassen, daß die Bedrohung, die Menschen durch Maschinen empfinden, nicht die Angst vor der Konfiguration industriell gefertigter Bauteile, sondern die Angst vor Veränderungen im eigenen Zusammenleben mit anderen Menschen ist. Der Gedanke, daß wir die Teilung von Privatheit und Öffentlichkeit an den Verarbeitungskriterien von Rechnern ausrichten müßten, um sozial „unauffällig" leben zu können, macht Angst. Aber wie immer in der Geschichte der Technik der Maschinen, wird das hohe Prestige, daß mächtigere Menschengruppen aus der Monopolisierung von Ressourcen zur Schaffung von perfekten Maschinen, die dem Beweis eigener Macht durch hohe Steuerungskompetenz (mindestens aber dem Anspruch darauf) dienen sollen, dann entwertet, wenn diese Maschinen massenhaft produziert und in die Hände von jedermann gelangen. Erst dadurch verlieren sie wieder ihre Funktion als Distinktionsmittel. Vor solchem Hintergrund ist das technische Maschinenkunstwerk dann die Sublimierung dieser Ängste in der ästhetisierten Form der ziellos agierenden Technik. Die Demokratisierungsschübe der vergangenen Jahrhunderte lassen es mir möglich erscheinen, daß sich Menschen heute wieder, aber in größerer Zahl als in den höfischen Gesellschaften, sich der „Technik" als Unterhaltung zuwenden. Der Franzose Leger entwickelte 1924 einige Gedanken zur Ästhetik der Maschine und schrieb: „... das mechanische Objekt... (ist) das vernachlässigte, falsch bewertete Objekt..., das geeignet wäre, an die Stelle des Motivs zu treten."

 

 Schlußbemerkung

  Maschinenkunstwerke müssen eine Mittel- und Mittlerstellung zwischen einem Industrieprodukt und einem Kunstwerk einnehmen und so den modernen Traum von der "Technik" ohne soziale Folgen repräsentieren. Ein Traum, der im Angesicht des Erschreckens vor der Maschinenwelt, die unser aller Leben durch unplanbare Folgen bedroht, nur noch in Kunstwerken wie diesen Realität werden kann. Heute fühlen wir uns von den Maschinen bedroht, die uns und damit unsere sozialen Beziehungen verändern. Eine noch unheimlichere Bedrohung scheinen die Maschinen darzustellen, die uns Routinen des Denkens, Zählens und Schreibens abnehmen.

Erschrecken uns nicht auch schon Maschinenkunstwerke als Nachdenkmaschinen, die unsere liebgewordenen Urteile in Frage stellen, die durch ihre Existens Lücken kausalen Denkens offenlegen?

 Es ist unüblich, funktionslose Maschinen zu bauen und sie öffentlich, unverhüllt, in ihrer "ungeschönten Nacktheit", ohne Ironie zu zeigen. Sie haben in den Räumen, wo üblicherweise Maschinen stehen, nichts zu suchen; derzeit ist für sie nur Platz in den Galerien des Kunstmarktes.

Deutlicher als alle Argumente zeigen sie, daß nicht Maschinen die Welt vernichten. Es sind unsere mythendurchdrungenen Betrachtungsweisen, die ganz in der Tradition des Maschinenbaus stehend, "Technik" mit Erlösungs- und Verdammnisphantasien affektiv aufladen.

 Ist allein die Bewegung ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt, wird die Bedeutung der Leistung suspekt. Eine Maschine, die nichts leistet, steht an der Grenze dessen, was wir zur Welt der Technik zählen. Zwar sind die Parameter dieser Maschinenkunstwerke durchaus erfahrbarliefern aber, im Gegensatz zu den leistungsorientierten Maschinen, in diesem Fall paradoxerweise keine Informationen zum Gebrauchswert.

 Hier wird auf andere Art als bisher in der Geschichte des Maschinenbaus an die Tradition der Unterhaltung angeknüpft, die man als Ausgangspunkt der technischen Revolution ansehen kann und an den Fürstenhöfen ihren Beginn hatte. Gerade die Technisierung, für die es anfänglich keine praktische, sondern nur erheiternde Verwendung gab, wird hier in ihrer modifizierten Form auf ihren Ausgangspunkt zurückbezogen. Die Unschuld der Technik wird vorgeführt, um auf die Verantwortlichkeit von Menschen hinzuweisen.